Überspringen zu Hauptinhalt

Verachtet sei von nun an der Hass

Februar 2022: Der Autor dieser Zeilen gibt zu, dass er über den kriegerischen Wahn in Europa zutiefst erschüttert ist, wobei auch diesmal den Krieg ein einziger Aggressor angezettelt hat, wie damals am 01. September 1939. In beiden Fällen, und jedes Mal, wenn Krieg geführt wird, steckt der Hass dahinter, denn alle Kriege haben den Hass zum Vater und wer nicht zu hassen weiß, der taugt nicht zum Krieger. Darum verbreitet die Kreml-Propaganda falsche Meldungen, motiviert aus dem Hass gegen die Ukraine. – Ein einziger Mann fühlt sich ganz besonders „berufen“, die seit 30 Jahren bestehende Sicherheitsordnung Europas zu zerstören. Das hier gemeinte Phänomen heißt in der Diktion von Alfred Adler: der Wille zur Macht. Dieser Wille ist „an sich“ weder gut noch böse. Auch „die Macht“ als solche ist nicht apriori böse. Denn: Das Böse kommt durch den Hass ins Spiel, indem ein Einzelner beneidet, dass sein Nachbarland etwas anderes will und sich nicht seinem Willen unterwirft. Neid aber ist allzu oft diejenige dunkle psychische Kraft im Menschen, die den Hass höllisch erweckt. Solange in Europa Leute die politische Macht haben, die nur neidisch sein können und hassen, kommt unser Kontinent nicht zum Frieden.

Am vierten Tag des Krieges gegen die Ukraine (Sonntag, 27.02.2022) nehme ich solch einen Mann wahr, der nicht nur eine militärische Operation gegen ein Bruderland, sondern einen brutalen, perfiden Krieg führt – etwa 300.000 Menschen sind schon geflüchtet – und letztlich die EU gänzlich destabilisieren will. Seine Tyrannei und Despotie muss mit dem Bösen zusammengedacht und zusammengefühlt werden. Ich selbst fühle das Böse, wenn der Aggressor im Fernsehen seine Lügenpropaganda verbreitet und davon faselt, dass sein Land von lauter Feinden umgeben sei und er „die historische Mission“ habe, sein Volk, sein Land zu schützen und deshalb sei er „gezwungen“, diese besondere „militärische Operation“ durchzuführen. Und, so droht er weiter, man werde sehen, dass etwas unerhört Schreckliches passieren würde, wenn man sich von außen einmischen würde, um ihn zu stoppen. Der Mann, der sich als ein zweiter Napoleon oder als ein zweiter Stalin sieht, steht noch kurz vor dem „Höhepunkt“ seiner Macht. Zugleich hat er sich gründlich verkalkuliert und der Schaden, den er auch seinem eigenen Land zufügt, ist unermesslich groß. Dass auch in seinem Land vernünftige Menschen leben, die gegen diesen Wahnsinn protestieren, beeindruckt ihn nicht. Er wird in den nächsten Tagen und Wochen sehr viel Leid und Zerstörung verursachen. Er wird weiterhin unschuldige Zivilisten töten lassen. Er wird hämisch triumphieren darüber, dass der Westen nur zuschaut und militärisch nicht einschreitet. Die Situation erinnert stark an den Jugoslawien-Krieg: auch damals hat der Westen nur zugeschaut und den damaligen serbischen Kriegsführer, den Wahnsinnigen Slobodan, nicht gestoppt. Doch diesmal bündelt der Westen seine Kräfte. Aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT ist Russland mit dem heutigen Tag ausgeschlossen.

Niemals war und ist ein Krieg die Lösung der Probleme. Auf Telegram verurteilten 100 russische Journalisten und Experten den Angriff auf die Ukraine: „Der Krieg war nie und wird nie eine Methode zur Lösung von Konflikten sein, und es gibt keine Rechtfertigung dafür“ (SZ, 25.02.2022, S. 2). Weitere Proteste in Russland zeigen, dass, wenn auch nicht alle, doch viele gegen den Krieg sind und damit in Opposition zu ihrem Präsidenten. Dieser, in seinem Werdegang im Rahmen eines Geheimdienstes geprägt, ignoriert, dass er durch einen Krieg keine Probleme lösen kann. Darüber hinaus leitet ihn die Rache sowie eine dunkle und selbstaufgebaute, extrem nationalistische Weltanschauung. Sein Narrativ lautet: Völkermord im Donbass, Neonazis, die in Kiew die Kontrolle übernommen hätten, Betrug durch die Nato, die für ihn ein Instrument der US-Außenpolitik sei und hinter alldem stehe natürlich der große Feind, die USA. Es seien die Vereinigten Staaten von Amerika, die in Wirklichkeit sein Land angreifen, und er müsse sich nun verteidigen. Wir wollen hier die USA sicher nicht als Unschuldslamm bezeichnen, doch in diesem Fall, ist eindeutig die Kreml-Führung, die den Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24.02.2022 gestartet hat. Das ist das historische Faktum, nicht anders zu verstehen als das Faktum vom 01. September 1939, als Hitler den Krieg angezettelt und den Höllensturz Europas bereitet hat. Heute aber bereitet die Vorstufe zum Höllensturz der russische Präsident.

Die Art und Weise, wie die Kreml-Führung ihren Krieg durch eine Kette von Lügen zu rechtfertigen sucht, erinnert an ein Muster, dem sich alle Diktatoren bedient haben. Man denke nur an die Propaganda im Jugoslawienkrieg oder an die Propagandareden des im Dezember 1989 hingerichteten rumänischen Diktators. Wie der Letztere sein Land zugrunde gerichtet hat, so ähnlich geschieht aktuell die Zerstörung der russischen Gesellschaft. Die Wahrheit aber ist: Niemand hatte im Sinn, Russland anzugreifen oder gar einzukreisen. Alle aber hatten die Hand gereicht, diplomatische Bemühungen auf sich genommen, um Konflikte und Probleme diplomatisch zu lösen. Sicher hat Papst Franziskus recht, wenn er twittert, dass der Krieg das Versagen der Politik und der Diplomatie sei. Sicher hat der Westen den günstigen Moment der Diplomatie – seit 2014 – verschlafen. Sicher ist aber auch, dass der Westen, speziell die EU, die Kooperation mit Russland gesucht hat, da sehr viele Interessen, wirtschaftlich wie kulturell, die EU mit Russland verbinden.

Aber, … aber, … aber, wenn der eine Teil die ausgestreckte Hand nicht annimmt, nur Rache im Sinn hat und vom Hass auf den Westen durchdrungen ist, dann, … ja, … dann ist das Resultat irgendwann ein Krieg. Heute [am 27.02.2022 um 8.30 Uhr] ist Faktum: Russlands Truppen dringen rasch ins Nachbarland ein, und Kiew steht unter Beschuss. Die Zahl der Flüchtlinge wächst von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag – und wir stehen erneut vor einer Retraumatisierung Europas. Natürlich glaube ich daran, dass das Licht stärker ist als die Finsternis. Ich vermute aber auch, dass die Mächte der Finsternis nicht in zwei Wochen verschwinden werden, wie mir ein optimistisch denkender Bekannter gesagt hat, sondern viel länger sich austoben werden. Dadurch wird der „Preis“, den Europa für seinem späteren Aufstieg zu zahlen hat, exponentiell anwachsen und viel länger andauern, als ich es in meinem Europaroman vermutet habe. Nur dann, wenn die EU wirklich bereit ist, den „Preis“ zu bezahlen und das heißt, dass sie maximale wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland in Kraft setzt, – nur dann wird dieser blutige Krieg gegen die Ukraine vielleicht (!) abgekürzt. Sind wir als EU bereit, die notwendigen Verzichte auf uns zu nehmen? … Ja, den Flüchtlingen zu helfen, das ist gut, dringend wichtig, unerlässlich.

Es ist zu spät, zu sagen, „ich habe die Unberechenbarkeit Putins unterschätzt“ (Sarah Wagenknecht). Denn, bildhaft gesprochen, der Zug ist abgefahren, er fährt schon mit 100 km/h und der Zugführer ist der Kreml-Chef selbst. Nur er allein könnte den Zug stoppen. Entscheidend ist dabei, was jetzt die „freie Welt“ – EU, USA, Kanada, Australien, Japan – mit vereinten Kräften tut. Sicher könnte die chinesische Führung ein machtvolles Stopp-Wort sprechen, doch China verfolgt eigene Interessen, das Geschehen in Europa genau beobachtend. Realpolitisch gibt es nur eine Maßnahme: Begrenzen und eingrenzen des Gebietes der Kämpfe, und maximalen Druck auf die Kreml-Führung durch Diplomatie ausüben. Trösten kann man sich durch einen historischen Rückblick: Irgendwann ist Napoleon verschwunden. Irgendwann sind Hitler, Stalin, Ceauşescu – und andere ähnliche Diktatoren – auch verschwunden. Und irgendwann wird auch Putin von der Bühne der Geschichte verschwinden – doch bis dahin werden viele Zerstörungen stattfinden und der „Preis“, den Europa für seinen späteren geistigen Aufstieg zu zahlen hat, ist jetzt schon und wird noch mehr sehr, sehr hoch und bitter sein. (Vgl. Otto Zsok, Europas Aufstieg hat seinen „Preis“. Ein philosophischer Europaroman [1901–2021]. Zweite Auflage Fürstenfeldbruck 2022, 341 Seiten). – –

An den Anfang scrollen