Das Ende des Krieges herbeisehnen (April 2022)
In der sechsten Woche nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges erlebe ich im Gespräch etliche Menschen, die einerseits Sorge und Angst haben, dass der Krieg sich ausweitet, andererseits auch die starke Hoffnung hegen, dass er in absehbarer Zeit – in einigen Wochen, vielleicht bis Herbst (?) – beendet wird. Davon will ich auch ausgehen, das will ich auch stark hoffen. In einem Brief, (30.03.2022) lese ich die Zeilen einer Person, Jg. 1967: „Mit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine habe ich so massive gesundheitliche Probleme bekommen, sowohl physisch als auch psychisch, dass ich seit Kriegsbeginn fast nur noch im Bett gelegen bin. Ich habe mir ein ‚Medienfasten‘ auferlegt und ich hoffe, dass ich bis Mitte Mai wieder stabil bin und dass der Krieg bis dahin vorüber ist, was ich im tiefsten meines Herzens wünsche, aber nicht glaube.“ – Hier wird der springende Punkt getroffen: Ich hoffe, ich wünsche es mir, aber ich glaube es nicht.
Die Akteure, die den Krieg initiiert und brutal weitergeführt haben und noch führen bzw. führen lassen, sind nicht so „gestrickt“, dass der halbwegs vernünftige Europäer ihnen glauben könnte, wenn sie von Feuerpause und von neuen Verhandlungen in Istanbul usw. sprechen. Bei allen vielfältigen Ursachen und Gründen, bei den sorgfältigsten Analysen der langen Vorgeschichte, die zu diesem Krieg geführt hat, kristallisiert sich ein ideologischer Kern heraus, den zweidutzend hochrangige Machthaber propagieren, ihr eigenes Volk durch Desinformation in die Irre führen und dunkle Worte verlauten lassen, um ihre durch nichts zu rechtfertigende Aggression gegen ein Bruderland irgendwie zu rechtfertigen. Alles, was die Kreml- Führung tat und tut und sagt, ist dem Kenner und Könner aus der früheren Wahn-Geschichte des deutschen Nationalsozialismus bekannt. Wer von „Entnazifizierung“ und „Demilitarisierung“ der Ukraine spricht, der missbraucht auf perfide Weise ein früheres Muster aus der NS-Zeit; ein Narrativ, das nach innen, gegenüber den eigenen Landsleuten, so verführerisch gut klingt, dass sie, zumindest in der Mehrheit, das Vorhaben ihres „Führers“ unterstützen. Ähnlich perfid und teuflisch gut kalkuliert klingt das andere „Argument“: Man müsse im Donbass ein „Genozid“ an der russischsprachigen Einwohnerschaft stoppen, und genau hierzu diene die „spezielle Militäroperation.“
Das Erdenmenschentier muss ja einen einigermaßen plausibel klingenden „Grund“ angeben, wenn er – aus dem Willen zur Macht motiviert – andere beherrschen, töten und vernichten will, denn noch im tiefsten Punkt seines „Falls“ aus dem Licht des Geistes, erahnt es in sich ein Minimum des Ethischen. Doch genau dies wird unterdrückt. Es wütet weiter. Die weitreichenden Konsequenzen werden ignoriert. Der Homo animalis dominiert den Homo humanus, den Homo noeticus. – Wenige Wochen nach der Besetzung der Krim bin ich im April 2014 in einem Vortrag der Frage nachgegangen: „Du altes Europa – wirst du ohne SINN noch bestehen?“ Sieben Jahre später, meine damalige Antwort modifizierend, sage ich: NEIN, ohne SINN, ohne ein radikal neues Konzept einer sinnorientierten Politik, die ab sofort in die Praxis umgesetzt werden soll – das ist nämlich eine Sollens-Notwendigkeit – wirst du nicht bestehen. Aus dem tiefsten Herzen sehne ich mich danach, dass ich mich irre. Viele von uns sollen, können und müssen das Ende des Krieges herbeisehnen. Vielleicht kommt dann die gute Wende, doch die Konsequenzen werden auch danach hart und langfristig bleiben. (O. Zsok)