Überspringen zu Hauptinhalt

Kontinuität

Dezember 2021: Eine (vor-)weihnachtliche und (nach-) weihnachtliche Betrachtung.

Das Wort Kontinuität (lat. continuitas) bedeutet so viel wie: Fortdauer, Stetigkeit, ununterbrochener, gleichmäßiger Fortgang und Fortbestehen von etwas. Dieses „etwas“ kann aus dem Bereich des Lebendigen und ebenso aus dem Bereich des Nicht-Lebendigen ein „Etwas“ oder eben ein Jemand sein. Dass „etwas“ ein Etwas ist, kann der Mensch nur erkennen, weil er zuvor schon, in einem Vorgriff das SEIN apriori erkannt hat. Das Ur-Sein ist dasjenige „Etwas“, was ewig fortdauert, kontinuierlich – ohne Anfang, ohne Ende – ist und wirkt. Daraus abgeleitet kann gesagt werden: Die Sonne als ein Seiendes scheint kontinuierlich, seit Jahrmillionen; die Erde als ein Seiendes ist kontinuierlich bewohnt seit mehreren hunderttausend Jahren von einzelnen, mit Bewusstsein ausgestatteten Seienden – von Menschen, und der Friede in Europa als ein brüchig seiendes Gebilde dauert kontinuierlich seit etwa 76 Jahren an.

Ein Jemand nun, also ein Mensch, der sich in einer Beziehung verbindlich engagiert und seinen Mitmenschen ununterbrochen liebt, ihn – trotz mancher Brüche in der Beziehung – wohlwollend und wertschätzend begleitet, und nicht aufhört den Anderen zu lieben, ein solcher Mensch also verkörpert in seinem Weiterlieben eine lebendige Kontinuität, die dem Anderen, aber auch ihm selbst, zugutekommt. Denn, was kann einem etwas Besseres passieren als geliebt zu werden durch ein Du, dem der Geliebte immer präsent ist, entweder durch physisch-leibliche Nähe oder durch ein geistiges Bei-Sein. Und Eltern, die ihr Kind durch frühen Tod verloren haben, lieben trotzdem ihr Kind weiter, und sind mit ihm geistig kontinuierlich verbunden. Auch dies ist eine lebendige Kontinuität.

Eine Mutter erzählte mir, dass sie ihre zwei Kinder, die sich von ihr vor Jahren abgewandt und von ihr, scheinbar, nichts wissen wollen, innerlich in ihrer Seele mitträgt, für sie betet, sie weiterhin liebt und manchmal eine unsagbare Sehnsucht spürt, ihre Kinder (beide schon um 40 herum) zu umarmen und mit ihnen zu sprechen. Ich bewundere diese Mutter für ihre Liebe-Kraft, denn es ist nicht schön, und es fühlt sich für eine Mutter nicht gut an, wenn sie Jahre hindurch einfach ignoriert und nicht einmal an ihrem Geburtstag beachtet wird, obwohl sie, in diesem konkreten Fall, ihre Kinder liebevoll erzogen hat. Als die Frau-Mutter ihren Mann verließ, waren die Kinder schon 18 und 19 Jahre alt. Erst nach diesem „Bruch in der Familie“ haben sie sich von der Mutter abgewandt – unter der kräftigen Beeinflussung des Vaters, der die Kinder allein für sich „haben“ wollte. Auch in dieser Geschichte kann eine positiv konnotierte Kontinuität abgetastet werden: die ununterbrochene Liebe der Mutter für ihre Kinder.

Und in anderen Geschichten, die das Leben schreibt, sind es die Väter, die ihre Kinder in einer ununterbrochenen Liebe begleiten, wenn die Mütter sie [die Väter], aus welchen Gründen auch immer, ausschließen, um die Kinder nur für sich zu „haben“.

Ja: Einen Menschen kann man auch dann lieben, wenn man ihn nicht sieht. Das war meine Botschaft an eine andere Mutter, die ihren Sohn seit Jahren nicht sieht, weil der Vater es so wollte. Ich sagte ihr oft: „Lieben Sie weiter Ihren Sohn und segnen Sie ihn jeden Tag.“

Ja: Sein Kind kann man – als Mutter oder als Vater – auch dann lieben und es sogar segnen, dass es ihm gut geht, wenn das Kind äußerlich nichts mehr von seiner Mutter oder seinem Vater wissen will. Genau dieses Faktum – sein Kind weiterhin lieben – lässt sich als die Kontinuität der Liebe bezeichnen, deren gründende Grund die Ur-Kontinuität selbst ist: die ewige Gottheit, das Ur-Sein und Ur-Licht, der Ewig-Eine, dessen innerstes Zentrum und innerste Essenz die Ur-Liebe, die Ur-Gnade und die Ur-Barmherzigkeit ist: Darin ist der Wesenskern des Menschen begründet. Hier erst kann jemand erahnen, sofern er dieser spirituellen Lehre zustimmt, dass unsere menschliche, in der Zeit mit Auf- und Ab-Bewegungen verbundene „Liebe-Kontinuität“ kein eigentliches Kontinuum, sondern nur ein an der Ur-Kontinuität Anteil-Habende, nicht vollkommener Zusammenhang sein kann. Dies aber ist nicht wenig und es fällt enorm ins Gewicht, den Anderen, der „zu mir“ gehört, [weil ich sein Vater oder seine Mutter bin], auch dann weiter zu lieben, wenn er sich abwendet und „mich“ ignoriert.

Dieses Muster der Liebe-Kontinuität gilt aber auch auf der Ebene der Paar-Beziehungen, dort, wo er und sie keine Kinder miteinander haben, und dennoch das Gemeinsame ihrer Liebe – die irgendwann gut begonnen hat – bewahren, hegen und kultivieren.

Aber auch bei Menschen, die aus verschiedenen Gründen allein leben – ohne Partner und ohne eigene Kinder – besteht eine bewusst zu machender Kontinuität, nach der einfachen Formel: Ich = Ich. Oder anders formuliert: Ich [bin] im Licht!

Die Geburt des göttlichen Kindes in Betlehem erinnert an die Ur-Kontinuität der ewigen Gottheit, die uns direkt nicht zugänglich ist. Das Jesus-Kind ist das Zeichen dafür, dass die Gottheit sich von uns Menschen nicht abgewandt hat, sondern als der Urewig-Eine [„Vater und Mutter“ zugleich] in der Gestalt des „Großen Liebenden“ offenbart hat; dass »Er und Sie in Einem« ununterbrochen, pausenlos, stets und kontinuierlich ist, wirkt und liebt.

In seinem Ich im Licht kann der einzelne Mensch in liebender Verbindung mit anderen „Ichs“, die zu ihm gehören, das Mysterium der Weihe-Nacht erahnen, mit der Seele erfühlen und in der Stille meditieren. Es ist in Worten kaum sagbar, denn ein Mysterium – ein Geheimnis – kann nicht analysiert und zerlegt, sondern nur erlebt, und schrittweise immer tiefer empfunden werden. Andeutungsweise vielleicht so:

Wenn Haß und Hader keine Stätte finden
In lichten friederfüllten Menschenseelen,
Dann dürfen Viele die Weltenweihnacht empfinden,
Und voll Jubelgesang „Gloria“ in C-Dur singen.
Möge jede Weihnacht glaubensvoll bereiten
Die Festvollendung ferner Friedenszeiten.

(In Anlehnung an Maria Wollwerth)

Und wem die klassische Musik etwas Tieferes bedeutet, der darf sich an dieser Stelle, wenn er mag, „Gloria“ anhören – aus der Krönungsmesse (KV 317) von Wolfgang Amadeus Mozart.

Jedem Mitmenschen, der diese Zeilen liest, wünsche ich aus dem Herzen frohe Weihnachten!

(Otto Zsók)

An den Anfang scrollen